Freitag, 18. Mai 2012

Theaterkritik nachtkritik.de


Weltrettung, weichgespült
von Esther Boldt
Mainz, 18. September 2008. Helden sind durch. Wenn Batman seine Stadt nicht vor einem tollwütigen Clown schützen kann, wie soll dann ein Mann namens Mörchen die Welt retten? Aber Mörchen kann. Und Mörchen wird. Andere denken kleinteilig, kaufen ein paar Quadratmeter Regenwald und gehen in den Biosupermarkt. Bei all der Komplexität heute wissen sie einfach nicht, wo die Revolution stattzufinden hat. Doch Mörchen weiß, was die Stunde geschlagen hat, er hat eine Vision, die er mit pfeilgerader Sturheit verfolgt.
Katja Hirsch
Im TiC, der kleinsten Spielstätte des Mainzer Staatstheaters, ist die Revolution pink und rund. Denn der Mann mit dem niedlichen Namen hat ein Haus gebaut, das schwimmen kann: Bei Hochwasser wird es zur Arche, eine Hydraulik stemmt es über die Wasseroberfläche. Der Beweis, dass der Prototyp funktioniert, steht allerdings noch aus. Ist dieser Mörchen, der auf den großen Regen wartet und damit seine Umgebung ganz kirre macht, nun ein wild herumphilosophierender Spinner oder ein unverstandenes Genie? Peter Lustig oder Daniel Düsentrieb?
Den Klimawandel bei den Hörnern packen!
Wie die Hauptfigur in "Genannt Gospodin", dem vorigen Stück des 1978 geborenen Autors, ist auch Mörchen ein schrulliger, ewig unverstandener Einzelgänger. Gern nimmt Philipp Löhle sich selbsternannte Aussteiger und Systemverweigerer vor. Sie sind tragikomische Figuren, Sympathieträger und Nervensägen mit Niedlichkeits- und Lächerlichkeitstendenz. "Die Kaperer", uraufgeführt von Jette Steckel im März am Schauspielhaus Wien, ist eine boulevardeske Öko-Fabel, deren Heldenidiot den Klimawandel bei den Hörnern packt, während seine Freunde sich in ihrem Alltag sauwohl fühlen.
Mörchen wird sein Meisterwerk nicht überleben. Wenn es sich schließlich aus den Fluten erhebt, ersäuft sein Erfinder im Keller. Löhle dreht achselzuckend Utopielosigkeit, Ökowahn und Gutmenschentum durch die Spaßmühle und guckt, was hinten rauskommt. Das wirkt ungemein aktuell, ist zweifelsohne unterhaltsam und läuft wie am Schnürchen. Einen klaren Standpunkt aber vermeidet das Stück wohlweislich, und diese ironische Offenheit ist Stärke und Schwäche zugleich.
Regisseurin Maria Åberg schafft bei der deutschen Erstaufführung in Mainz zumindest in einer Hinsicht Eindeutigkeit: Mit Mörchen ist alles in Ordnung. Es ist seine Umwelt, die total irre ist. Die einfach keine Ahnung hat, außer vielleicht von Küchenpsychologie. Seine hochschwangere Frau Biene (Katja Hirsch) betrachtet ihren Erfindergatten von Anfang an so, als käme er von einem anderen Stern. Denkt er laut über die tiefere Botschaft des Wassers nach, guckt sie demonstrativ weg und schämt sich. Und spätestens als sie ihn "E-h-e-mann" nennt, das Wort zerdehnt, als sei es fremd und grotesk, ist klar: Das wird nichts.